Epidemiologie-Coaching: Klarheit in die Fragestellung bringen

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In meiner Zeit als Wissenschaftler und Dozent habe ich oft erlebt, wie schwer es sein kann, epidemiologische Konzepte zu verstehen – besonders, wenn Studierende oder Doktoranden zum ersten Mal vorhandene Daten nutzen. Solche Daten sind eine Schatztruhe an Informationen, aber sie bergen auch Herausforderungen: Wie entwickelt man präzise Forschungsfragen? Wie wählt man das richtige Studiendesign? Und wie vermeidet man Fehler, die Ergebnisse verfälschen können?

Diese Erfahrungen inspirieren mich heute in meiner Arbeit als systemischer Supervisor, insbesondere wenn es darum geht, datenbasierte Fragestellungen und berufliche Anliegen miteinander zu verbinden. Das PICO-Tool, das ursprünglich aus der evidenzbasierten Medizin stammt, hat sich dabei als eines meiner wertvollsten Werkzeuge etabliert. Es dient nicht nur der Strukturierung wissenschaftlicher Fragen, sondern lässt sich auch hervorragend als systemisches Tool in der Supervision einsetzen.

Fallbeispiel: Coaching einer medizinischen Doktorandin zur Themenfokussierung

Emma, eine medizinische Doktorandin, kam zu mir, weil sie Schwierigkeiten hatte, ihr Thema einzugrenzen und präzise Forschungsfragen zu formulieren. Sie fühlte sich überfordert von den vielen Möglichkeiten und suchte nach Klarheit. Zu Beginn des Coachings nutzten wir das PICO-Tool, um ihr Anliegen zu strukturieren. Emma definierte als Zielgruppe Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz und wollte untersuchen, ob regelmäßige Schulungen über Krankheitsmanagement langfristig die Behandlungsadhärenz beeinflussen. Als Vergleich betrachtete sie Patienten, die keine Schulung erhalten hatten, mit dem gewünschten Ergebnis, Unterschiede in der Anzahl von Krankenhausaufenthalten und der Lebensqualität über einen Zeitraum von zwei Jahren zu messen.

Fragestellung: „Führt regelmäßige Schulung über Krankheitsmanagement bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz im Vergleich zu keiner Schulung zu einer geringeren Anzahl von Krankenhausaufenthalten über zwei Jahre?“

Diese Ziel- und Auftragsklärung schuf eine klare Basis für die weitere Arbeit und half, ein kohortenbasiertes Studiendesign zu wählen.

Annahmen und Erklärungsmöglichkeiten

Emma zeigte Unsicherheiten, die sich aus der Vielzahl möglicher Fragestellungen und der komplexen Datenlage ergaben. Wir nahmen an, dass diese Unsicherheiten auf eine fehlende Struktur und Zielklarheit zurückzuführen waren. Eine weitere Erklärung war, dass methodische Herausforderungen, wie Bias und Confounding, bisher nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Zudem war Emma unsicher, welche Variablen tatsächlich relevant für ihre Fragestellung waren, was ihre Entscheidungsfindung erschwerte.

Tools und Interventionen

  • PICO-Tool: Diente der Auftragsklärung, um Population, Intervention, Vergleichsgruppen und erwartete Ergebnisse klar zu definieren.
  • SMART-Zieldefinition: Half, ein klares und realisierbares Ziel zu formulieren, einschließlich eines Zeitrahmens.
  • Bias- und Confounding-Analyse: Methodische Reflexion, um mögliche Verzerrungen in der Analyse zu vermeiden und relevante Variablen zu identifizieren.

Ergebnis

Am Ende des Coachings reflektierte Emma, dass sie durch die Arbeit mit dem PICO-Tool und den systemischen Methoden deutlich mehr Klarheit über ihr Thema gewonnen hatte. Sie hatte ein erstes Studiendesign skizziert und konkrete nächste Schritte festgelegt, wie die Priorisierung der wichtigsten Variablen und die systematische Prüfung der vorhandenen Daten. Emma fühlte sich bereit, ihre Dissertation mit einem klaren Fokus und einem fundierten methodischen Ansatz weiterzuentwickeln. Dieses Fallbeispiel zeigt, wie sich analytische Strukturen und systemische Reflexion miteinander verbinden lassen, um medizinische Doktorandinnen bei der Eingrenzung ihres Forschungsthemas effektiv zu unterstützen.


Das PICO-Tool

Eine klare Forschungsfrage ist das Fundament jeder Studie – und auch jeder Supervision. Hier setze ich auf das PICO-Tool, das dabei hilft, aus einer Idee eine überprüfbare Fragestellung zu entwickeln. Die vier Elemente – Population, Intervention/Exposure, Comparison und Outcome – strukturieren die Frage und helfen, die Daten gezielt zu analysieren. Gleichzeitig eignet sich das Tool hervorragend, um berufliche Themen in der Supervision systematisch zu reflektieren.

In der Supervision: Definiere ein Ziel für die Sitzung. Beispiel: „Welche Veränderungen möchten Sie durch die Supervision erreichen?“

PICO-KomponenteDatenanalyseSupervision
P – Population„Definieren Sie, welche Personen oder Gruppen in den Daten enthalten sind.“„Welche Zielgruppe oder welchen Kontext möchten Sie genauer betrachten?“
Beispiel: „Patienten mit dokumentierter Therapieintensität.“Beispiel: „Welche Personengruppen sind von Ihrer beruflichen Herausforderung betroffen?“
I – Intervention/Exposure„Welche Interventionen, Expositionen oder Maßnahmen möchten Sie untersuchen?“„Welche Maßnahmen, Entscheidungen oder Einflüsse spielen in Ihrer Situation eine Rolle?“
Beispiel: „Psychische Störungen wie Depressionen oder Persönlichkeitsstörungen.“Beispiel: „Welche beruflichen Entscheidungen haben diese Situation beeinflusst?“
C – Comparison„Gibt es Gruppen, die miteinander verglichen werden können?“„Welche alternativen Handlungsoptionen könnten relevant sein?“
Beispiel: „Vergleich von Patienten mit hohem vs. niedrigem Risikograd.“Beispiel: „Wie würden Kolleg:innen oder Führungskräfte auf diese Situation reagieren?“
O – Outcome„Welches Ergebnis möchten Sie messen oder beobachten?“„Was möchten Sie mit der Supervision erreichen?“
Beispiel: „Zusammenhang zwischen klinischen Merkmalen und Therapieintensität.“Beispiel: „Welche konkreten Veränderungen erhoffen Sie sich?“

Ein zentrales Element, was das PICO-Tool so wirkungsvoll macht, ist seine Vielseitigkeit. Während die erste Tabelle zeigt, wie PICO genutzt werden kann, um sowohl datenanalytische als auch berufliche Fragestellungen zu strukturieren, beleuchtet die folgende Tabelle konkrete Interventionen, die aus diesem Tool abgeleitet werden können. Diese Interventionen verbinden die methodische Klarheit von PICO mit der Flexibilität und Lösungsorientierung systemischer Supervision. Die praktische Anwendung dieser Ansätze eröffnet spannende Möglichkeiten, um Klarheit und neue Perspektiven zu schaffen.

BereichBeispielintervention
1. Auftrags- und Zielklärung
SMART-Zieldefinition„Was möchten Sie bis zum Ende der Sitzung erreicht haben?“
PICO-Frage„Welche Population, Interventionen und Outcomes sind für Ihr Anliegen relevant?“
Ressourcenorientierte Zielklärung„Welche analytischen Werkzeuge kennen Sie bereits und könnten Sie nutzen?“
2. Perspektivwechsel und Reflexion
Zirkuläres Fragen„Wie würden andere Forschende Ihr Studiendesign bewerten?“
Systemische Fragen
„Welche Faktoren tragen in der Studienpopulation zu diesem Problem bei?“
3. Lösungsfokussierte Ansätze
Bedürfnisfrage„Was brauchen Sie, um mit Ihren Daten präzise arbeiten zu können?“
Ressourcencheck
„Welche früheren Analysen haben Sie erfolgreich abgeschlossen? Was können Sie davon lernen?“
Erster Schritt„Welche Datenbereinigung oder Analyse könnte ein erster konkreter Schritt sein?“
Bias- und Confounding-Analyse
SelektionsbiasSind alle relevanten Gruppen in der Analyse berücksichtigt?
InformationsbiasIst die Qualität der erhobenen Daten ausreichend?
ConfoundingWelche anderen Variablen könnten die Ergebnisse beeinflussen?
Feedback- und Abschlussinterventionen
Drei Learnings„Welche drei wichtigen Erkenntnisse nehmen Sie aus der Sitzung mit?“
Transferaufgabe„Bereiten Sie bis zur nächsten Sitzung eine Hypothese und ein Studiendesign vor.“„
Feedforward„Welche Schritte sehen Sie für die nächste Woche vor?

Fazit: PICO als Brücke zwischen Daten und Reflexion

Das PICO-Tool bietet eine wertvolle Struktur, um datenbasierte und berufliche Fragestellungen lösungsorientiert zu bearbeiten. Durch die Kombination von analytischen Methoden und systemischer Reflexion können Klient:innen aus ihren Daten und Erfahrungen wertvolle Erkenntnisse gewinnen – sei es in der Forschung oder im beruflichen Alltag. Mit diesem Tool helfe ich meinen Klient:innen, Herausforderungen zu meistern und aussagekräftige Ergebnisse zu erzielen, die sowohl professionell als auch persönlich relevant sind.